Zum Kopftuch-Tragen gehört in Döbeln Mut

Sara stammt aus Syrien, Klaudia aus Polen. Beide lernen am Lessing-Gymnasium in der elften Klasse. An ihrer Schule organisiert die Schülergruppe „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage eine Menge für ein gutes Schulklima. Doch wie sieht es außerhalb der Schule aus?

Seit 20 Jahren gibt es am Lessing-Gymnasium in Döbeln die Schülergruppe „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“. Die Schule trägt den Titel mit Stolz. Die Gruppe, die seit ihrer Gründung vor zwei Jahrzehnten auch in die Stadtgesellschaft wirkt, wird heute immer noch gebraucht. Denn während Gymnasium mit viel Engagement versucht wird, ein gutes Schulklima ohne Rassismus mit couragierten Schülerinnen und Schülern zu pflegen, sieht der Alltag außerhalb der Schulmauern nicht immer so aus. Selbst in der Schule gibt es hier und da Konflikte zu lösen.

Zwei, die von den Aktivitäten der Gruppe „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“ profitiert haben, sind Klaudia Szczesniak und Sarah Alsjasen. Die beiden 17-jährigen jungen Frauen besuchen die elfte Klasse des Lessing-Gymnasiums in Döbeln. Beim jüngsten Poetry-Slam lasen beide eigene Texte und sprachen dabei den Rassismus an, den sie als nicht in Deutschland Geborene erleben oder erlebt haben.

Sprachbarriere ist größte Hürde

Klaudia stammt aus Stettin. Ihre Eltern arbeiten als EU-Bürger schon viele Jahre in Deutschland. Der Vater im Edeka-Zentrallager in Berbersdorf, die Mutter in einem Döbelner Pflegeheim. Als Klaudia 2016 nach Döbeln kam, waren die Eltern schon zwei Jahre hier. Sie wurde bei der Oma in Stettin betreut, bis für den Umzug alles gerichtet war. Klaudia startete in Klasse fünf am Gymnasium in der sogenannten DaZ-Klasse (Deutsch als Zweitsprache). Drei Jahre paukte sie hier deutsch und lernte parallel in einer Regelklasse des Gymnasiums.

„Hallo, ich heiße Klaudia“, war das Einzige, was sie auf Deutsch sagen konnte, als sie in Döbeln ankam. Zwar hatte sie schon in Polen versucht, Deutsch zu lernen, doch der Unterricht fiel oft aus. „Die Sprachbarriere war echt eine Hürde und auch kulturell gibt es Unterschiede“, sagt Klaudia. Am ersten Schultag kam sie in ihrem schönsten Kleid und toll frisiert zur Schule und fühlte sich den ganzen Tag overdressed. Die Mitschüler in ihrer Regelklasse waren zu einem Teil sehr hilfsbereit. Die andere Hälfte der Klasse war eher distanziert. Außerhalb der Schule merkte sie noch schneller: „Wenn man nicht deutsch sprechen kann, stößt man sehr schnell auf Ablehnung.“ Das war auch in der Schule am Anfang so. „Je besser man deutsch spricht, umso besser wird man anerkannt, von den Mitschülern und von der Gesellschaft außerhalb der Schule“, hat Klaudia selbst erfahren. Zwischenzeitlich ist aus dem schüchternen Mädchen eine selbstbewusste junge Frau geworden. Sie tanzt in der Döbelner Dance Company und trainiert mit ihrer Gruppe gerade für das Döbelner Tanzfest. In der Schule bereitet sie sich auf das Abitur vor. Übersetzerin für Deutsch und Polnisch möchte sie werden. Studieren will sie dazu in Deutschland oder Polen.

Kopftuch stößt auf Ablehnung

Sara Aljasem stammt aus Damaskus in Syrien. Im Januar 2014 kam sie auf extrem abenteuerlichen Wegen mit ihren Eltern und den drei Geschwistern nach Deutschland. Mittlerweile ist sie hier bestens integriert. Der Vater arbeitet im Klinikum Döbeln. Die Mutter war zuletzt im Augenzentrum Döbeln beschäftigt. Ihr Onkel ist dort einer der Augenärzte. Saras Familie hat seit Oktober sogar die deutsche Staatsbürgerschaft.

Doch Sara ist auch eine selbstbewusste junge Muslima. Seit der siebenten Klasse entschied sie sich dafür, ein Kopftuch zu tragen. Das brachte ihr von Mitschülern immer wieder dumme Sprüche ein. Außerhalb der Schule erlebt sie in Döbeln oft massive, zum Teil sogar aggressive Ablehnung, weil sie den Kopfschleier trägt. Ein älterer Mann, der am Obermarkt auf einer Bank saß, beschimpfte sie vor ein paar Monaten als „muslimische Nutte“ und folgte ihr sogar. „Ich bin weggerannt. Aber es hat mich geschockt.“

Das Kopftuch nennt sie Teil ihrer Religion. Für sie ist es aber auch Abgrenzung und Schutz, um sich als junge Frau wohlzufühlen. Ihren Glauben praktiziert die Familie ausschließlich zu Hause. „Ich würde mir wünschen, dass sich die Menschen mehr damit befassen. Es gibt einen Unterschied zwischen Kultur und Religion. Nicht jeder Muslim ist ein Islamist oder Fundamentalist. Zudem hat mein Kopftuch keinesfalls etwas mit der Unterdrückung von Frauen zu tun. Im Gegenteil, ich bin eine selbstbewusste und selbstbestimmte junge Frau.“

Selbstbewusst blickt Sara auch auf ihre Zukunft. Sie möchte gern Medizin studieren und Ärztin, am besten Chirurgin werden. Dann möchte sie unbedingt eine Zeit bei „Ärzte ohne Grenzen“ oder in anderen Hilfsorganisationen arbeiten. Der Grund dafür hat mit der Flucht aus Syrien zu tun. „Wenn man aus einem Kriegsgebiet fliehen musste und Menschen sterben sah, dann möchte man den unschuldigen Frauen und den Kindern helfen. Die haben doch auch Träume und Pläne für die Zukunft“, sagt sie.

Flucht übers Mittelmeer

Es war 2013, als sich die Familie entschloss, aus dem zerstörten Teil ihrer Heimatstadt Damaskus zu fliehen. Sara war damals sieben Jahre alt. „Es gab kein Essen, keinen Strom, überall Zerstörung und Gewalt und auch Vergewaltigungen“, erinnert sich Sara. Ihren Eltern sei klar gewesen, entweder wir sterben im Krieg oder auf der Flucht nach Europa. Sie wollten lieber beim Versuch zu fliehen sterben als in diesem Krieg. Die Familie verkaufte all ihr verbliebenes Hab und Gut und floh im Januar 2014 aus Syrien über den Libanon in die Türkei. Dort stiegen sie in ein Schlauchboot, wollten über das Mittelmeer.

Mehrere Tage verbrachte die Familie mit den kleinen Kindern mit vielen anderen im Schlauchboot auf See. „Es war kalt. Wir hatten Hunger und Durst. Ich würde nach diesen Erlebnissen nicht noch einmal in so ein Boot steigen“, sagt sie. Kurz vor der Küste Griechenlands trifft das inzwischen leck geschlagene Schlauchboot in letzter Minute auf ein Rettungsschiff. Über Mazedonien, Serbien und Österreich schlägt sich die Familie nach München durch. Dort hatte ihr Onkel studiert. Flüchtlingsheime in Chemnitz, Schneeberg und schließlich Döbeln sind die nächsten Stationen. In Syrien war Sara in der ersten Klasse die beste Schülerin, konnte schon arabisch lesen und schreiben. Doch mit dem Krieg war Schluss mit Schule. An der Döbelner Kunzemannschule wird sie in die zweite Klasse integriert. In den Flüchtlingsheimen hatte sie mit den Eltern mit Youtube-Videos schon ein klein wenig Deutsch gelernt. „Ich liebte diese Schule schon am ersten Tag. Ein eigenes Ablage-Fach für jeden Schüler, Hausschuhe und dann war überall noch Weihnachtsschmuck“, erinnert sie sich. Die Mathelehrerin war sofort ihre Lieblingslehrerin. Denn Mathe ging auch ohne Sprachbarriere.

Klaudia und Sara sind am Lessing-Gymnasium angekommen. Die Arbeitsgruppe Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“ kennen und schätzen sie von verschiedenen Aktivitäten, welche die Gruppe an der Schule organisiert. Das Motto „Ohne Rassismus und mit Courage“ sollte aber überall, auch außerhalb der Schulmauern mehr gelebt werden, finden die beiden jungen Frauen.